Verschwunden während der Diktatur – Amparo Almeida Araújo erzählt die Geschichte ihres Bruders Luiz

Amparo_buscaLuiz“Mein Bruder war Luiz Almeida Araújo, Codename Ludovico – und für uns zu Hause Lula. Das ist der Spitzname für Luíz, in Brasilien und vor allem im Nordosten. Alle Luízes werden am Ende Lula gerufen, oder Luizinho. [lacht] Und er war in der ALN, der Ação Libertadora Nacional. Ich wohnte zu dieser Zeit bei ihm. Denn er war noch nicht im Untergrund, sondern lebte im Viertel Perdizes [in São Paulo].”

Wie war dein Bruder in den Widerstand involviert? Und wie kam es zu seiner Festnahme?

“Beim Überfall auf eine französisch-italienische Bank [1968 durch die ALN] wurde das Auto meines Bruders benutzt. Der Plan sah vor, dass er dann ganz früh aufstehen und das Auto als gestohlen melden sollte. Nur dass er abends noch sehr lange las und am Ende verschlief: Und natürlich, als das Auto identifiziert wurde, wurde er verhaftet. Aber er schaffte es, glaubhaft zu versichern, dass er nicht mitbekommen habe, dass das Auto gestohlen worden war.

Er kam also frei, wurde aber intensiv überwacht. Und so entschied das Kommando, dass er das Land verlassen und ein Training auf Kuba machen sollte. Also verließ er Brasilien und ging nach Kuba. Sein Training fand 1969/1970 statt.

Ende des 2. Semesters 1970 kam er zurück nach Brasilien. Ich nahm Anfang Januar 1971 wieder Kontakt zu ihm auf. Weil ich zu diesem Zeitpunkt bereits untergetaucht war und bis dahin keinen Kontakt mehr zu ihm oder zur Ação Libertadora Nacional hatte.

Im Juni 1971 wurde er erneut verhaftet und verschwand. Aufgrund der Gegebenheiten zu dieser Zeit und einiger vager Informationen, die wir haben, wissen wir, dass er durch ein Kommando der Operação Bandeirante gestorben ist, unter Folter, in der rua Tutóia [in São Paulo].”

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Die Operação Bandeirante (Operation Bandeirante, OBAN) war ein Spezialkommando für Informationen und Ermittlungen, das 1969 von der brasilianischen Armee eingerichtet worden war. Dort wurde während der Diktatur das Vorgehen gegen bewaffnete linke Widerstandsgruppen koordiniert, geplant und umgesetzt. Dazu gehörten auch massive Folterungen und politische Morde, unter anderem durch den ‚bekannten“ Major Carlos Alberto Brilhante Ustra. Die OBAN wurde 1971 von Unternehmern wie Henning Albert Boilesen teilfinanziert.

Die Ação Libertadora Nacional (Nationale Befreiungsaktion, ALN) war eine Widerstandsbewegung, die Ende der 60er Jahre aktiv war. Ihr Anführer Carlos Marighela gründete die ALN 1967, nachdem er mit dem Partido Comunista Brasileiro (Kommunistische Partei Brasiliens, PCB) gebrochen hatte. Die Mehrheit der Parteimitglieder war zu diesem Zeitpunkt gegen einen bewaffneten Widerstand.

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Was habt Ihr nach seinem Verschwinden getan?

“Als er nicht zu dem Treffpunkt kam, an dem wir für einen Samstag verabredet waren, erwarteten mich Yuri Xavier Pereira Alex und Francisco Seiko Okama. Und sie baten mich, Mama zu benachrichtigen. Und ich gab ihr Bescheid, in dem ich jemanden bei ihr anrufen ließ.

Er war ja schon öfter inhaftiert worden, und so wusste Mama, was zu tun war. Sie suchte einen Anwalt auf, den sie bei den anderen Malen schon beauftragt hatte. Mama erzählte oft und erzählt noch heute, wie sie quasi jeden Tag in das Haus des Kommandos Operação Bandeirante in der Rua Tutóia ging, und versuchte, etwas über seinen Verbleib zu erfahren. Auch bei anderen Orten und Stellen, die ihr der Anwalt empfahl, aufzusuchen. Aber sie bekam nie eine Antwort.

Eine lange Zeit lang ging Mama regelmäßig dahin, um etwas herauszufinden. Sie suchte alle seine Freunde auf. Die Polizei verhaftete irgendwann alle, die mit ihm zur Schule gegangen waren oder studiert hatten. Er studierte Soziologie an der Katholischen Universität von São Paulo. Alle seine Freunde, Kommilitonen, Mitschüler wurden verhaftet. Aber er hatte schon lange keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt. Den hatte er bereits vor seiner Reise nach Kuba abgebrochen. Diese Leute hatten nichts mit der Geschichte zu tun, aber sie alle wurden belästigt, verhaftet und zum Teil auch gefoltert, körperlich und seelisch.

Irgendwann gab Mama die Suche auf. Ich hatte zu dieser Zeit keinen Kontakt zu ihr. Konnte keinen haben, weil ich im Untergrund war und selbst gesucht wurde. Ich sah sie erst Ende 1978 wieder, als der Kampf für die Amnestie schon im Gange war. Und 1979 kam die Amnestie. Die Exilierten kehrten zurück, die Leute, die inhaftiert waren, kamen aus dem Gefängnis, die Leute, die im Untergrund gelebt hatten, tauchten wieder auf. Doch die die Familien derer, die wahrscheinlich getötet worden waren, spürten die Leere um so mehr. Denn niemand wusste, wie sie gestorben waren. Sie waren ja verschwunden.”

Auszug aus einem Interview vom Juni 2014.

Maria do Amparo und Luiz Almeida Araújo (l.u.r.)

Amparo (left) and her brother Luiz Almeida Araújo with his girlfriend María José

Die Geschwister Amparo und Luiz Almeida Araújo verließen ihr Elternhaus Mitte der 60er Jahre und schlossen sich dem kommunistischen Widerstand an. Bei seinem Verschwinden war Luiz 27 Jahre alt. Seine letzte Spur findet sich in Militärdokumenten mit einem Vermerk zu seiner Person: ‘AUG/71 – ist angeblich tot.’

Amparo Almeida Araújo ist heute Menschenrechtsaktivistin, unter anderem als Mitglied des Kommitées für Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit von Pernambuco und Gründerin der Nichtregierungsorganisation Tortura Nunca Mais in Recife.

Hier geht’s zum Video-Interview auf Portugiesisch.

Lesen Sie hier geht es zu einem weiteren Text über die Familie von Luiz Almeida Araújo.

One thought on “Verschwunden während der Diktatur – Amparo Almeida Araújo erzählt die Geschichte ihres Bruders Luiz

  1. Pingback: Desaparecido na ditadura – Amparo Almeida Araújo sobre a busca pelo seu irmão Luiz | Memória e Verdade em Pernambuco

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